Sehr geehrter Herr Dr. Nigge, sehr geehrte Fraktionsvorsitzende der Parteien im Celler Rat,

mit Erstaunen haben die unterzeichnenden Gruppen sowohl die aktuelle Diskussion in den Ausschüssen und in der Ratssitzung vom 18.02.2021 zum Klima-Aktionsplan verfolgt als auch die Antwort auf die erste Stellungnahme von Parents for Future (PFF) Celle zum Plan gelesen. Unsere Irritationen beruhen auf den folgenden Aspekten:

1 Zeitliche Verschleppung der Thematik

Die Beschlussvorlage zum Klima-Aktionsplan stand seit November 2020 auf der Tagesordnung im Fachausschuss, wurde fachlich nicht erörtert und erst Mitte Februar dem Rat vorgelegt. Auch die Stellungnahme von PFF Celle zum Klima-Aktionsplan vom 14.12.2020 wurde erst Mitte Februar beantwortet. Zudem steht zu befürchten, dass die Umsetzung des Klima-Aktionsplans durch den Beschluss, ihn durch eine Gutachterfirma präzisieren zu lassen, zeitlich weiter verschleppt wird. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der Umwelt und der daraus erwachsenen Notwendigkeit, Klimaschutz ernsthaft und zeitnah umzusetzen, ist diese zeitliche Verschleppung nicht hinnehmbar.

2 Stellenwert des Klimaschutzes in Celle

Wie bereits aus der ersten PFF-Stellungnahme hervor geht, gibt es bereits auf Kommunen zugeschnittene Vorlagen und Hilfen für die Entwicklung kommunaler Klimaschutzplanung mit entsprechendem Monitoring. Umso verwunderlicher, dass der vorliegende Plan über eine reine Sachstandsbeschreibung nicht hinausgeht. Uns fehlen die Vision und dazu passende Strategien, auch in Celle einen regionalen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und damit dazu beizutragen, dass wir auch in Zukunft alle eine Lebensgrundlage haben.

International wird gerade eine Diskussion über die Veränderung der Innenstädte nach dem Ende der Corona-Pandemie diskutiert. In vielen Städten werden dabei Klimaaspekte berücksichtigt, wird der Fokus auf kommunale Räume als Aufenthalts- und Erlebnisräume gelegt, Straßen zurückgebaut oder durch Grünflächen und Fußgänger/Radfahrbereiche aufgewertet. Diese Diskussion vermissen wir in Celle, hier werden neben kleineren Maßnahmen für den Nicht-Autoverkehr vor allem Straßen für den motorisierten Individualverkehr ausgebaut und damit Planungen verfolgt, die vor vielen Jahren begonnen wurden und nach heutigen Maßstäben nicht mehr als zeitgemäß anzusehen sind. Gerade die Verkehrspolitik ist ein originäres Aufgabengebiet der Stadt, in dem sich leichter Visionen und Strategien zur ökologisch-sozialen Wende umsetzen lassen als an anderer Stelle.

Ähnliches gilt für die Bauleitplanung, auch hier verschenkt die Stadt Chancen für einen ökologischen und klimarelevanten Wandel. (Dazu gehört u.a.auch die Kontrolle der Einhaltung von Vorgaben, z. B. bei der Zunahme an lebensfeindlichen Schottergärten in Neubaugebieten.)

Weder im Jahresrückblick 20202 noch in der Jahresplanung 20213 wird auch nur ansatzweise auf das Thema Klimaschutz eingegangen. (Cellesche Zeitung "Wir haben es geschafft an unseren Projekten festzuhalten, sie fortzusetzen und neue zu schaffen“ (27.12.2020) und Cellesche Zeitung "Brauchen auch mal klare Linien" (22.02.2021))

3 Klimaschutz als Querschnittsthema in der Verwaltung und Politik

Wie uns aktuelle Studien zeigen, sollte Klimaschutz zunehmend mehr unter sozialer und gesundheitlicher Perspektive betrachtet werden. Eine rein ökologische Perspektive reicht heute nicht mehr aus. Durch eine CO2-Reduktion im Sinne des Pariser Klima-Abkommens könnten viele vorzeitige Todesfälle jährlich vermieden werden (bessere Ernährung, Luftqualität, Fortbewegung). (https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(20)30249-7/fulltext) "Paris" in die Tat umzusetzen ist also auch ein Gesundheits- und Lebensqualitätsprogramm. Diese Perspektiven werden im Klima-Aktionsplan und in der städtischen Diskussion nicht beachtet. Wo sind Celler:innen in ihrer Wohnumgebung besonders belastet? Mit welchen Klimaschutz-Maßnahmen kann man kleinräumig zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen? Diese Aspekte vermissen wir im Klima-Aktionsplan. Wie können sich Fachdienste in der Verwaltung vernetzen und zusammenarbeiten, um diese verschiedenen Perspektiven auf den Klimaschutz zu erfassen und danach zu handeln?

4 Reichen die Ressourcen?

Welche und wie viele Fachleute braucht die Verwaltung, um den Klimaschutz mehrperspektivisch, querschnittlich und fachlich ausreichend zu bearbeiten? Werden die vorhandenen Fachleute entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt und wie kann man sie von täglichen Verwaltungsaufgaben entlasten? Werden Klima-Förderprogramme effektiv genutzt? Gibt es eine Stelle in der Verwaltung, die Entwicklungen im Fördermanagement beobachtet und die Fachdienste der Stadt rechtzeitig informiert, damit die Förderungen in die städtische Klimaschutzplanung einbezogen werden können? In vielen Förderprogrammen wird die Vernetzung unter Kommunen unterstützt, das Lernen voneinander und miteinander. Ideenaustausch, Erfahrungsberichte, Übernahme guter Konzepte, all das kann kommunale Klimapolitik bereichern. Wo beteiligt sich die Stadt an solchen Formaten? (Beispiel: https://www.connective-cities.net/)

5 Klimaschutz geht alle an

Das Thema Klimaschutz ist lange in der Gesellschaft angekommen, das Bewusstsein vieler Menschen für die Notwendigkeit von schneller und effektiver Veränderung ist geweckt. Nicht zuletzt die Fridays for Future haben seit zwei Jahren auch in Celle beharrlich und laut nach mehr Klimaschutz gerufen und die Dringlichkeit der Maßnahmen verdeutlicht. Eine Stadt wie Celle ist deshalb gut beraten, auf ihre Bürger:innen zu hören und diese bei der Planung einer ökologischen Wende einzubeziehen, die bürgerliche Expertise zu nutzen. Genau dieses passiert aber noch nicht. Stellungnahmen von Gruppen wie den Parents for Future oder Climate-Watch-Celle werden nicht beachtet oder zurückgewiesen, die Corona-Pandemie wird genutzt, um den Runden Tisch Klimaschutz auszusetzen, obwohl sich für solche Formate Videokonferenzen längst bewährt haben. Damit vergibt die Stadtverwaltung Chancen und erzeugt Widerstände. Die zahlreichen Celler Initiativen und Verbände rund um die Themen Umwelt- und Klimaschutz stehen bereit, mit der Verwaltung und den politischen Gremien zusammenzuarbeiten, sie ggf. auch zu beraten und mit ihnen gemeinsam daran zu arbeiten, Visionen für ein klimafreundliches Celle und die Stärkung der Lebensqualität zu entwickeln und umzusetzen.

6 Besondere Relevanz für die Stadt Celle

Es wäre ein Irrglaube davon auszugehen, dass Celle weniger stark vom Klimawandel betroffen wäre als Gemeinden an der Küste, in den Bergen oder im heißen Süden – im Gegenteil, Celle stellt sich gleich in mehrfacher Hinsicht als besonders vulnerabel dar:

• Celles Bevölkerung ist mit 45,2 Jahren durchschnittlich älter als das ohnehin hohe Durchschnittsalter Niedersachsens. Alte Menschen sind von Extremwetterlagen wie Hitzewellen jedoch viel stärker betroffen als junge Menschen. Hitze führt wie Corona zu einer Übersterblichkeit: Hitzesommer wie 2003 oder 2018 erhöhten die Sterblichkeit um bis zu 15%, auch in Celle. Und noch wärmere Sommer und mehr und längere Hitzewellen werden kommen. (vgl. Landesamt für Statistik Niedersachen, https://www.nls.niedersachsen.de/gemeinden/G351006.html (Abruf 2/2021) und u.a. https://www.sueddeutsche.de/politik/klima-temperatur-bericht-1.4698326 und vgl. https://www.regionaler-klimaatlas.de/ (Abruf 2/2021))

• Die historische Bausubstanz Celles bietet wenig Hitzeschutz. Schatten spendende Bäume wurden teils gefällt, Flächen kühlender Evapotranspiration versiegelt und sich aufheizende Straßen neu- und ausgebaut.

• Die vielerorts sandigen Böden Celles speichern nur wenig Wasser und sind sehr anfällig für Degradation; die Auswirkungen von Dürreperioden und Starkniederschlägen sind deshalb besonders groß – für die Natur und Landwirtschaft. Der Grundwasserspiegel sank in den vergangenen Jahren auf einen besorgniserregend tiefen Stand. (Auskunft auf unsere Anfrage vom Februar 2021 nach dem Transparenzgesetz bei der Unteren Wasserbehörde (Lk Celle) für exemplarische Messstationen. Die Wasserstände werden als „niedrig“ bis „extrem niedrig“ bewertet.)

• Ein großer Teil der Stadtfläche Celles ist bei sog. Jahrhundertereignissen überflutungsgefährdet. Solche bisherigen „Jahrhundertereignisse“ werden in Zukunft allerdings in der Häufigkeit weniger Jahrzehnte auftreten. (https://geoportal.bafg.de/karten/HWRM/?tabs=on# (Abruf 2/2021))

Eine konservative Berechnung (DIW 2013) schätzt die Kosten des Klimawandels für Deutschland bis zum Ende des Jahrhunderts auf 2 Billionen €. Auf die Einwohnerzahl Celles heruntergerechnet ergeben sich Kosten durch Schäden, Anpassungsbedarf und Vorsorge von ca. 1,75 Mrd. €. Klimaschutz zum Nulltarif gibt es längst nicht mehr. Aufgabe der Stadt Celle ist es auch, Vorsorge zu treffen, dass die Stadt für zukünftige Generationen Lebens- und Wirtschaftsraum sein kann.

Mit freundlichen Grüßen, Wolfram Steinmetz (Parents for Future Celle) im Namen der folgenden Gruppierungen:

• ADFC Kreisverband Celle • Altstadt Celle neu denken • attac Celle • BUND Kreisgruppe Celle e.V. • Bunte Beete e.V. • Celler Lastenrad Initiative • Climate Watch Celle • Foodsaving Celle • Fridays for Future Celle • Land-In-Sicht-Transition (LIST) Celle • NABU Gruppe Stadt Celle e.V. • Parents for Future Celle • Refill Celle • VCD Kreisgruppe Celle