Liebe Mitmenschen,

Ich wurde von Fridays for Future gebeten, anlässlich des heutige Klimastreiks in Celle, die wissen­schaftlichen Hintergründe zum Klimawandel und zur Energiewende kurz zu beleuchten. Ich mache das auf Grundlage des aktuellen Berichts des IPCC, des Weltklimarats, einem zwischenstaat­lichen wissenschaftlichen Ausschuss, der im Auftrag der UN den Klimawandel verfolgt und Aus­sagen zu Ursachen, Auswirkungen und Gegenmaßnahmen macht. Ich schlage dann auch noch den Bogen zur lokalen Klimapolitik.

Vertuschen und Reden statt Handeln, während der THG-Ausstoß steigt  

Seit 1970 registriert die Wissenschaft einen starken Anstieg von CO2 in der Atmosphäre. Bereits 1986 sagte eine interne Studie des Ölkonzerns Shell den Klimawandel voraus. Daraufhin schlossen sich Shell, Chevron, BP und Exxon zur "Global Climate Coalition" zusammen und bestachen mit bis zu 160 Mill. Dollar Wissenschaftler, um den Klimawandel zu leugnen. So viel zu den Vorzügen freiheitlich-demokratischer, marktkonformer Gesellschaften. Ende der 90-er Jahre kam dann die Politik nicht mehr umhin den Temperaturanstieg und den Klimawandel ernst zu nehmen. 1997 beschlossen die meisten Staaten der Welt im sog. Kyoto-Protokoll den CO2-Ausstoss bis 2012 zu senken. Das wurde allerdings nicht tatsächlich, sondern nur rechner­isch vor allem durch den Zusammenbruch der Ostblockwirtschaft und dann die Finanzkrise 2008 erreicht. Trotz 17 Kyoto nachfolgenden Klimakonferenzen – die letzte in Glasgow, deren Ergebnis Greta Thunberg so treffend mit Bla, Bla charakterisierte – wurde weltweit in 2021 ein neuer Höchststand der THG-Emissionen erreicht. Auch in Deutschland wurde nach kurzem Corona-Einbruch 2020 bereits in 2021 wieder ein Plus von 5% THG erreicht, während gleichzeitig die deutschen Exporte Rekordniveau erreichten.

Klimawandel beschleunigt sich 

Währenddessen beschleunigt sich der Klimawandel, denn die Folgen der Temperaturerhöhung bewirken selbstbeschleunigende Effekte. Umso schneller Gletscher, Arktis und Antarktis ab­schmelzen, umso mehr Sonnenstrahlung absorbiert die Erdoberfläche und umso schneller geht das Abschmelzen weiter. Umso mehr Wälder absterben, abbrennen oder abgeholzt werden, umso weniger CO2 wird gespeichert und die Erderwärmung beschleunigt sich. In den letzten 50 Jahren ist die globale Oberflächentemperatur so stark angestiegen wie in keinem vergleichbaren Zeitraum der letzten 2000 Jahre. Das bleibt nicht ohne Folgen: Wetterextreme, wie Hitzewellen (sogar in Sibirien und der Antarktis), Dürren im Wechsel mit Starkregen und Überschwemmungen (z. B. in Australien), verheerende Waldbrände im Mittelmeerraum oder im Westen der USA und von Canada. Die Flutwellen an Ahr und Erft im Juli 2021 werden dagegen von deutschen Dumm­politikern und ihren wissenschaftlichen Speichelleckern immer noch als Jahrhundertereignis bewertet. Während das IPCC* sagt, wenn die Energiewende und damit THG-Vermeidung weltweit so langsam vorangehen wie bisher, wird 1,5 Grad plus bereits Anfang der 30-er Jahre erreicht. Und wenn dann bestimmte Kipppunkte, z. B. beim Ausmaß des Eisabschmelzens und der Meer­eserwärmung erreicht sind, werden Gegenmaßnahmen nahezu wirkungslos und wir werden weit über 3 Grad plus kommen. Diese Aussagen macht der aktuelle 6. Weltklimabericht des IPCC im Teil 1 des Berichts und geht dann im Teil 2 auf die Folgen des Klimawandels ein.

IPCC betont unermessliche Folgen des Klimawandels

Zunächst auf die Folgen für die Artenvielfalt: Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad seien ca. 18 Prozent der an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten ausgestorben, bei vier Grad bereits ca. 50 Prozent. Wenn wir z. B. lesen, das Amazonasgebiet wird gerade von der CO2-Senke zur Quelle, denken wir vielleicht noch „ist ja weit weg“, und übersehen dabei geflissentlich, dass die CO2-Speicherung des deutschen Walds in den letzten 30 Jahren auf 1/6 gesunken ist, und träumen weiterhin von Holzheizung und Holzbau. Im Fernsehen hätten wir gerade sehen können, dass US-Forscher mithilfe von Satellitenmessungen die Lüneburger Heide als eines der Gebiete mit dem höchsten Grundwasserabbau weltweit ausgemacht haben. Aber wer sieht das schon, wir chatten lieber in unseren asozialen Medien. Dabei bräuchten wir gar nicht die komplexen Modellrechnungen des IPCC, sondern nur die Grundrechenarten und ein bisschen Restverstand, um zu erkennen, wo ein ungebremster Klimawandel hinführen wird.

Klimawandel trifft die Armen weltweit am härtesten

Laut IPCC ist aber nicht nur die Natur – in ihrer bisherigen Form – als Grundlage des mensch­lichen Lebens gefährdet, auch die sozialen Auswirkungen des Klimawandels sind Menschheits gefährdend. „Nicht alle Menschen und Gesellschaften sind gleichermaßen betroffen“ sagt das IPCC, „am stärksten trifft es weltweit Arme, Minderheiten, Indigene, Alte, Frauen und Kinder, vor allem im Globalen Süden“. Über 3 Milliarden Menschen leiden bereits unter Wassermangel. Die Ernährung und Gesundheit von diesen Menschen ist bereits gefährdet, und wird durch zunehm­ende Erwärmung unmöglich werden. „Wir hier in Deutschland, haben für eine kleine Bevölker­ungsgruppe im Ahrtal innerhalb zwei Wochen 30 Mrd. Euro auf die Beine gestellt“, das kann man von Somalia, Sudan oder Nigeria nicht erwarten.“ sagt z. B. der IPCC Experte Birkmann.

Noch haben wir eine Chance

Doch das IPCC sagt auch, es gibt noch eine Chance auf ein Abbremsen des Klimawandels: Erster Schritt wäre, bezogen auf den Stand von 2010, die Halbierung der THG-Emissionen bis 2030. Gleichzeitig Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen, um gegen Klimaänderungen widerstands­fähige, resiliente Lebensbedingungen zu schaffen.

Was heißt das für Deutschland?

Um eine Energiewende zu ausschließlich THG-freien Energieträgern zu erreichen,

  • Verringerung des Gebäudewärmeverbrauchs um 80%
  • Verringerung der Energieverbrauchs im Verkehr um 80%
  • Energieeinsparung der Industrie um mindestens 50%
  • Umstellung auf vollökologische Landwirtschaft.

Was heißt das für Stadt und Landkreis Celle?

Was die Energieeffizienz bei Gebäudesanierung und Neubau seiner Liegenschaften betrifft, ist der Landkreis inzwischen auf einem guten Weg. Auch die Notwendigkeit einer Neugestaltung des ÖPNV zu einer Alternative zum Individual-Pkw-Verkehr wird langsam erkannt. Ein Klimamanager hat die Arbeit aufgenommen und betreut die Erstellung einer THG-Bilanz und eines Klimaschutz­plans für die Liegenschaften des LKs. Immer noch desaströs ist dagegen die Situation bei der Stadt Celle: Kein(e) Klimaschutzmanager(in), keine THG-Bilanz, kein Klimaschutzplan, kein Wärmeplan und kein Verkehrswendeplan (das wird auch nicht durch bruchstückhaften Zubau und Aufpinselung von Radwegen kaschiert) und innen in allen Fachbereichen der Stadt fehlen für Klimaschutz zuständige Mitarbeiter. Auch wenn jetzt in Neubaugebieten keine Erdgasheizungen mehr erlaubt werden sollen, geschieht dies nicht aus Einsicht der Stadt, sondern weil die Masse der Hauskäufer:innen gar keine mehr will. Doch Neubaugebiete bedeuten erstmal ein Plus an Energieverbrauch und die CO2-Emissionen im Bestand bleiben erhalten. Das Abholzen einer Allee oder ein digitales Pkw-Leitsystem werden in Celle zu Resilienz-Maßnahmen erklärt. Celle ist auf dem besten Weg zum Negativbeispiel der deutschen Energiewende zu werden. Deshalb im Interesse unserer Kinder und Enkel, eine spezielle Adresse an unseren OB Nigge:

Nur eine klimafreundliche Stadt ist eine familienfreundliche Stadt!

Klimawandel wird zur Kriegsursache

Angesichts des Ukrainekriegs noch eine Schlussbemerkung zu Krieg und Klimawandel:
Wenn nach 3 Grad plus weltweit 3 Mrd. Menschen ihre Wohnorte wegen Unbewohnbarkeit bzw. Zusammenbruch der örtlichen Wasserversorgung und des Lebensmittelanbaus verlieren, dann werden sich unsere Kinder und Enkel mit diesen Klima-Migranten im Streit um die letzten Ressourcen totschlagen. Das sagt übrigens auch – in gesetzteren Worten – das IPCC.

Danke für die Aufmerksamkeit!